Die Zweibahnstraße
Müsste ich auf dieses Jahr zurückblicken, was ich vielleicht sogar noch tun werde, so sticht mir eines ins Auge, es ist ein Jahr das aus zwei sehr unterschiedlichen Hälften besteht.

In der ersten Jahreshälfte wurde ich von Schicksalsschlägen verfolgt, die bei mir den Eindruck entstehen ließen die Vergangenheit sei tot und begraben. Es waren tatsächlich Krankheit und Tod die mich verfolgten und mich zeitweise sogar erwarten ließen, dass es immer noch schlimmer kommen würde. Und tatsächlich es kam sogar noch schlimmer.

Die große Wende erfolge jedoch in einem Moment als ich mich trotz unbeschreiblichen Glücks nicht mehr über dieses freuen konnte. Und genau darauf wurde ich von einer langjährigen Kollegin angesprochen. Was ich fand war keine Antwort auf den Grund für mein Unglück, sondern eine Frage, warum ich unfähig geworden war das erfahrene Glück anzunehmen.

Nur trieb mich diese Frage noch weiter in mein Unglück. Ich versuchte den Schmerz zu unterdrücken und vor ihm zu fliehen. Bis ich auf eine Erkenntnis stieß, die mein Leben für die zweite Jahreshälfte bestimmen sollte. Jahrelang hatte ich Mihály Csíkszentmihályis Buch über den Flow-Effekt im Regal stehen, nachdem es von Daniel Pink in dessen Werk Drive wärmstens empfohlen worden war. Als ich es aufschlug stieß ich jedenfalls auf zwei Begriffe die mich über meine eigene Einstellung nachdenken ließen - psychische Entropie und Negentropie.

In aller Kürze bedeuten diese Begriffe nichts weiter, als dass man seine Gemütsverfassung durch negative oder positive Gedanken steuern kann. Ein Tag der schlecht beginnt wird schlechter, weil man sich auf das schlechte konzentriert und es gewissermaßen sogar herbeisehnt. Psychische Entropie. Die eigentlich gar nicht so revolutionäre Erkenntnis ist nun allerdings, dass man sich einen Tag oder sein Leben nicht bloß schlecht reden kann, sondern genau umgekehrt, sich die Dinge auch schönzureden vermag. Gefühlsmäßig muss ein Tag nun keine Einbahnstraße sein, denn man kann auch umdrehen.

Vor langer Zeit habe ich mal ein Buch gelesen, das mich glauben ließ genau das wäre Selbstbetrug. Man solle den Schmerz umarmen und genießen. Doch genau das schadet einem eigentlich selbst, was auch die Moral dieser Geschichte war. Doch damals passte genau diese ablehnende Haltung zu meinem Eindruck vom Leben. Nichts ging mehr, nichts bewegte sich. Umarme den Schmerz und du weist wenigstens, dass du noch lebst.

Woran ich mich langsam wieder zu erinnern beginne sind die Möglichkeiten Schmerz und Trauer in Energie umzumünzen. Um Verlust zu verarbeiten ist es sinnvoller sich zu bewegen, anstatt auf der Stelle zu treten und in Selbstzweifeln zu zerfließen. Als jemand, der sich einmal darauf verstand sich selbst unter Kontrolle zu haben, bin ich auf dem langen und harten Weg mich aus einem selbst geschaufelten Loch zu befreien. Der Fall war tief, doch er ist vorbei.

Überleben ist nicht das Ziel, es ist ein Mittel zum Zweck. Man kann vieles überleben und doch daran zerbrechen. Die wahre Herausforderung besteht darin Krisen zu überwinden und hinter uns zu lassen. Und genau das gelingt nur durch Bewegung. Vorwärts in die Zukunft.

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