Könnte der 'Legends'-Status tatsächlich etwas positives für SWTOR bedeuten?
Legenden entstehen, wenn die historische Wahrheit vom Mythos verklärt wird. So kann etwa der durch einen Glücksfall irgendwo eingeklemmte zum legendären Überlebenden eines brutalen Deathmatches werden. So wird aus dem Rückzug eines sich in mieser Tagesverfassung befindlichen überlegenen Gegners der legendäre Sieg eines sonst aussichtslos unterlegenen anderen.

Die Legende ist der Glanz den man einem Ereignis oder einer Person umhängt, wenn man diese gewissermaßen über den grünen Klee loben und die Schattenseite ausblenden will.

So auch vielleicht im Fall von Star Wars, wo das alte Erweiterte Universum, immerhin ein Fundus an Geschichten aus 36 Jahren, pauschal unter dem Logo Legenden aus der ehemaligen Kontinuität getilgt wurde. Darth Bane wie er in den Bane-Romanen beschrieben wurde, den wird es so jedenfalls seit März 2014 nicht mehr geben. Ulic Qel-Droma, Revan oder Dass Jennir, sie haben vielleicht sogar nie existiert. Geschichten wie um Quinlan Vos jedenfalls, der immerhin weiterexistiert, wenn auch in jugendfreundlicherer Form, sind so wohl auch nie geschehen.

Doch nur weil viele der "Kult-Romane" und "Kult-Comics" seit März 2014 nur noch Legenden sind, heißt das nicht sie seien weniger wert. Gerade der Fall Quinlan Vos bietet ja die Möglichkeit es auch anders zu sehen. So wie in den Dark Horse Comics ist dessen Leben vielleicht nicht geschehen, doch gewisse Rahmendaten bleiben vielleicht weiterhin Bestandteil der Kontinuität. Vos kennt Kenobi, was durchaus auf eine gemeinsame Begegnung in deren Vergangenheit hinweisen kann. Etwa den nicht mehr kanonischen Stark Hyperraum Krieg, eine Episode der galaktischen Geschichte, die durchaus heruntergebrochen werden kann auf "eines von vielen Ereignissen, die der Handelsföderation die Aufrüstung ihres Militärs erlaubten".

Legenden müssen nicht immer den Tatsachen entsprechen, dürfen sich sogar widersprechen und voneinander abweichen. Bei all dem Gebrauch von schwergewichtigen Worten wie Kanon kann man auch auf die biblischen Legenden verweisen. Etwa die Jugendgeschichten um Moses oder Jesus, die zwar kein offizieller Bestandteil der Bibel sind, als unkanonisch gelten und in der Theologie vielleicht sogar verpönt sind - im Religionsunterricht bzw. der Praxis sind sie durchaus im Gebrauch. Daran haben auch 2000 Jahre nichts ändern können.

Legende sind mitunter auch bunter als die Realität. Die Dinge sind vielleicht nie so passiert und doch hätte man vielleicht lieber in der griechischen Sagenwelt gelebt, als der historischen Realität des antiken Griechenlands.

Und so ließe sich auch The Old Republic vermarkten. Eine Welt mit Ereignissen, die vielleicht nie wieder auch nur ansatzweise Teil der offiziellen Timeline sein werden. Und doch zieht "Be the Legend" sicher mehr als "Sei mehr oder weniger eine Person die es so nie gegeben hat". So etabliert sich SWTOR vielleicht gar als eine Speerspitze der Star Wars Legends. Die Wahrscheinlichkeit, dass man unter dem Legends-Banner eines Tages doch neue Geschichten präsentieren wird ist sicher gering, doch nicht ausgeschlossen. Marvel hat es mit den Marvel Ultimate-Comics so versucht und parallel zur Hauptlinie an Comics eine ganze Reihe von Storylines in einem alternativen Universum eröffnet. Durch die seit dem Verkauf an Disney gegebene engere Bindung von Star Wars und Marvel könnte sich eines Tages tatsächlich eine Wandlung dieser Art vollziehen.

The Old Republic ist nun so positioniert wie ein Star Trek-MMO, das ebenfalls mit jedem neuen J.J. Abrams-Film Gefahr läuft immer weniger Bestandteil der ursprünglichen Timeline zu sein. DC Universe hat man sogar sein eigenes Paralleluniversum spendiert, denn in den DC Comics spielen die Ereignisse des MMORPGs keine Rolle. Außer den Comics zum MMO selbstverständlich. Jedes Marvel MMO würde ohnehin nicht in der Lage sein, die Universen der Zeichentrickserien, Kinofilme und regulären Comicserien zu verbinden.

Doch es ist besser man hat eine Art Abstellgleis, wo man den Kreativen einen Freischein ausstellen kann, anstatt sie permanent dazu zu zwingen alles auf jede mögliche Eventualität vorbereitet zu schreiben. Nur weil ein Filmemacher eines Tages einen berühmten Kopfgeldjäger wiederverwenden möchte, muss man diesen nicht zwangsweise auf ewig für die Benutzung sperren.

Dabei bin ich nun nicht unbedingt für ein "geben wir den Kanon auf", sondern eher eine Methode, nach der zwar immer noch kanonische Werke geschrieben werden, die dann für alle Aspekte des Franchise verbindlich bleiben, doch auch die Verwendung einer Art Spielwiese, die nicht so verbindlich ist. Einen Tarkin-Roman könnte man so etwa durchaus als kanonisch und damit verbindlich positionieren, einige andere Geschichten allerdings vorsorglich als Legends titulieren, weil man ja nie weiß. Infolgedessen bliebe etwa die Handlung eines Boba Fett-Romans ohne Konsequenz, sollte man sich entscheiden Fetts Leben in einem bestimmten Zeitraum an einen anderen Ort zu verlegen. Mehr Flexibilität und doch zugleich die Möglichkeit den Legenden ein anerkennendes Kopfnicken zu gewähren, wenn bestimmte Ereignisse aus einem Werk der Legends in den Kanon aufgenommen werden. Und genau das wird ja wohl passieren. Das Imperium in Rebels nutzt einen Inquisitor.

Ein Werk innerhalb der Legends, das noch weiter ausgebaut wird, genau das ist SWTOR. Und das bringt eine ganze Reihe von Freiheiten mit sich. Man ist nicht länger an einen Kanon gebunden und kann mutige Experimente wagen, die man vorher aus Rücksicht auf die Kontinuität nicht hätte wagen können.

Mein Lieblingsbeispiel dazu, der zeitweilige Untergang der Republik. Man stelle sich vor, die Republik der Episoden I-III sei nicht jene Republik der wir in SWTOR gegenüberstehen, sondern ihr Nachfolger.

Im Original von Episode II heißt es dazu "There wasn't a full scale in the galaxy, since the formation of the Republic."

Und auch "I will not let this Republic that has stood for a thousand years be split in two."

Der Satz des Kanzlers Palpatine über die tausend bzw. tausende Jahre ist es woran man bis 2014 auch die Ruusan Reformation und den Untergang der Sith geknüpft hat.

Nachdem sich der Kanon SWTORs und SWTOR des Kanons entledigt hat, kann man unter den lockeren Rahmenbedingungen der Filme ja neu über diese Dinge nachdenken. The Old Republic spielte ca. 3700 Jahre vor Episode I. Also tausende Jahre vor Palpatines Aufstieg. Und wir wissen vom Beispiel Frankreichs auch, dass eine Republik gar nichts ist. Die Franzosen befinden sich gegenwärtig in der Fünften Republik.

Eine grundlegende Staatsreform, mit neuer Verfassung und praktischer Neuformierung der republikanischen Staatsverfassung kann so durchaus als "Formierung" oder Neugründung angesehen werden. Selbst Österreich überlegte unter dem Schlagwort einer Dritten Republik in den 90er-Jahren, ob eine entsprechende Verfassungsreform nicht machbar wäre. Das geflügelte Wort wurde allerdings vom Rechtspopulisten Jörg Haider in Beschlag genommen und dadurch diskreditiert.

So gesehen ist es dank der neuen Kontinuität unvorhersehbar geworden, ob am Ende vielleicht nicht doch das Sith-Imperium den zeitweiligen Sieg über die Republik erringen könnte. Der Kanon steht dem jedenfalls nicht mehr im Weg. Man fühlt sich zurecht ein wenig an DC Universe erinnert. Doch zugleich ist für den Laien die Möglichkeit erkennbar, hey auch wenn die Imps gewinnen, die Republik könnte wiederauferstehen und alles doch so enden wie in den Filmen.

Je länger SWTOR existiert, desto stärker könnte es als eigener Aspekt des Franchise die Gestalt eines derart unabhängigen Universums einnehmen, frei vom alten Erweiterten Universum und frei vom Neuen. Genau daher auch zugänglich für neue Fans. Man muss es nur richtig erklären können und daran droht die PR-Abteilung von Bioware Austin imho zu scheitern. Es fehlt die Vision.

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